Windmühlen und Störche satt
Mit dem Rad von Amsterdam nach Berlin – eine schöne Tour geplant aus dem Internet!
Radtour von Amsterdam nach Potsdam
Nicht nur Flugscham, Körperfett und die Hoffnung, weniger am Handy zu daddeln sind Kriterien bei der Auswahl unseres Urlaubs. Auch die Neugierde auf ein Holland, in dem es mehr Fahrräder als Einwohner*innen gibt war eine wichtige Überlegung. Amsterdam sollte es sein. Wir hätten auf dem berühmten Radfernweg R1 nach Holland radeln können, aber die Steigungen am Nordrand des Harzes schienen mir als Schreibtischtäterin doch eine ernstzunehmende Herausforderung. Glücklicherweise findet man im Netz immer eine Lösung: Fernradweg zwischen Amsterdam und Berlin. Keine kommerziell verfügbaren Bücher oder Tourguides, aber dafür ein verlässlicher GPS-Track zum download, dem wir gut folgen können.
Wir starten auf Empfehlung des Betreibers der Seite nicht in Potsdam, sondern in Amsterdam, um lästigen Gegenwind zu vermeiden. Das hat den angenehmen Vorteil, dass wir auf dem Rückweg schnell wieder zu Hause sind und keine längere Zugfahrt unsere Erholung beeinträchtigt. Die haben wir gleich zu Anfang. Wir nehmen die – leider mit Fahrrad nicht ganz einfach zu buchende – Direktverbindung mit dem IC von Wannsee nach Amsterdam, der alle zwei Stunden fährt (57 Euro für 1 Erwachsenen und 1 Kind, inklusive Fahrrad und Reservierung), im letzten Wagen einige Fahrradabstellplätze hat und in weniger als 7 Stunden im City Center der Stadt Van Goghs ankommt.
Wir übernachten in Amsterdam in der Jugendherberge – Hostel Amsterdam Vondel-Park – eine gute Wahl. Das Hostel liegt am schönen Vondel-Park und man kommt sowohl zu Fuß, als auch mit dem Drahtesel – natürlich – sehr gut zu allen innerstädtischen Sehenswürdigkeiten dieser Hauptstadt der Helm- und Coronamasken-Muffel. Wie erwartet sind die Radwege phänomenal und es ist ein tolles Erlebnis, auf nur für Radler reservierten 6 m-breiten Wegen quer durch das gleich benachbarte Rijksmuseum zu fahren (hier hängt die Nachtwache von Rembrandt). Die Heimat von booking.com bietet nicht nur Blumen, Sex und Coffee-Shops, sondern auch das Anne Frank Museum (Achtung: unbedingt vor der Reise die Tickets buchen), den Nachbau einer jahrhundertealten Galeone im Hetscheepvaart-Museum, kostenlose Fahrradgaragen unter den wirklich coolen Foodhallen (unbedingt einen Abend hierfür freihalten), wunderschöne Grachten und moderne Technikmuseen. Drei Tage reichen gerade für einen groben Überblick – man könnte sich auch einige Wochen ohne Langeweile in Amsterdam vergnügen. Für die Schaukel über Amsterdam hat es leider nicht mehr gereicht.
Und ab aufs Rad
Dann geht es los. Geplant sind Routen zwischen 45 und 70 km, die der Nachwuchs (11 und 22 Jahre alt) gut bewältigen kann. Wir nehmen die Route über Hilversum und Apeldoorn. Unser erster Halt für einen coolen Drink ist im schönen Weesp mit Windmühle und Fort Ossenmarkt. Danach folgt das Vogelschutzgebiet Bovenmeent am Naardermeer. Wir haben in der (leider wenig empfehlenswerten) Jugendherberge in Soest übernachtet und keinen Abstecher zum Palais Soestdijk gemacht. Am nächsten Tag nehmen wir uns Zeit für das sehr sehenswerte Amersfoort. Leider gibt es auf dem Markt, hinter dem Kirchturm ohne Kirche, erst ab Mittag etwas zu essen. Aber für einen coolen Drink, bei dem man den Blumenhändlern zuschauen kann, reicht es allemal. Man kann sich das Wetter nicht immer aussuchen und ausgerechnet auf der sportlichen Strecke inklusive Holland-untypischer Steigung nach Apeldoorn schüttet es Hunde und Katzen. Wir belohnen uns mit einem schönen Wellness-Hotel direkt neben dem – leider geschlossenen – Palast Het Loo mit wunderschönen Gärten. Nach üppigem Frühstück geht es weiter über Deventer (hierfür besser etwas zum Essen mitnehmen) durch tolle Natur Richtung Hengelo. Wir übernachten etwas vorher auf dem Land in einer luxuriösen, ausgebauten Scheune – für Gourmets lohnt sich das Essen im Restaurant (vorher reservieren). Wir lassen auf dem weiteren Weg allerlei Schlösser, Freizeit- und Tierparks links liegen und radeln fleißig weiter. Alles, was wir aus Holland mitbringen wollen, besorgen wir uns vor dem Grenzübertritt in Enschede. Hier kann man gut einkaufen und zu Mittag essen.
Weiter geht es in Deutschland
Der Grenzübertritt erfolgt über ein kleines Holzbrückchen. An der Qualität der Radwege bzw. deren Mangel merkt man sofort, wann man in Deutschland ist. Im grenznahen Gelände der Grenzstadt Gronau gab es alte Spinnerei-Betriebe, in deren Verwaltungsgebäude eine wunderschöne Ferienwohnung („Spinnerei“ – buchen über Portale) zu mieten ist. Wer früh bucht, kann auch in Bad Bentheim übernachten: Hier ist die Jugendherberge an der wunderschönen Burg Bentheim untergebracht. Wer wie wir, dort keinen Platz bekommt, kann zur Entschädigung im Café Tietmeier frühstücken, nachdem die starken Steigungen am Burgberg bewältigt wurden. Nun geht es stramm durch Rheine und den südlichen Zipfel des Emslands, an der Ems entlang in Richtung Osnabrück. Wir übernachten im Parkhotel Surenburg, wo wir im Wellnessbereich mit Aussicht auf edle Pferde entspannen. Fußballer kennen den kleinen Ort Lotte auf der Strecke, nachdem die dortigen Sportfreunde es vor 5 Jahren bis ins DFB-Pokal-Viertelfinale schafften. Und tatsächlich hängen in jedem zweiten Garten Fußball-Trikots auf einer Leine. Ansonsten gibt es hier: Störche satt. Zwischen Lotte und Osnabrück sehen wir einige von ihnen – was nicht verwundert, denn hier gibt es eine eigene Storchen-Station und Schilder, die auf tieffliegende Störche hinweisen. Wir übernachten im Hotel Walhalla aus dem 17. Jahrhundert, mitten in der Osnabrücker City. Auch hier gibt es allerlei anzuschauen – Kunst und Kirchen satt – aber man kann auch einfach ein bisschen shoppen gehen (die Beute besser per Post nach Hause schicken) und in einem der Cafés die Seele baumeln lassen. Ich mache nichts davon: Am Rande der Innenstadt gibt es einen Waschsalon, wo wir die schlimmsten Auswüchse der Wäschenot lindern konnten und ich schalte mich, während ich darauf warte, dass die Wäsche fertig ist, mit dem Handy online in die Ortsgruppensitzung des ADFC ein.
Am nächsten Tag machen wir den einzigen Abstecher der Reise: Wir fahren über einen ordentlichen Berg nach Kalkriese, wo angeblich die Varusschlacht stattgefunden hat. Für die, die sich in der Geschichte nicht so auskennen: Arminius hat in der Varusschlacht die Römer verjagt, aber blöderweise weiß niemand so genau, wo die Schlacht stattgefunden hat. In Kalkriese hat man kurzerhand ein Museum um ein paar historische Funde gebaut und wer die sportliche Herausforderung nicht scheut, radelt über den Berg nach Kalkriese und klettert auf den Museumsturm, von dem man eine tolle Aussicht hat.
Von Kalkriese geht es bei schönster Aussicht – auch auf einige Gewitterwolken – nach Bad Essen. Ein kleiner Ort aus Fachwerkhäusern. Wir übernachten in der Alten Apotheke mit sehr sehenswerten Räumlichkeiten und einem Bad, das so groß ist, wie meine Küche. Wer in der Kaffeemühle zu Abend essen möchte und nicht im griechischen Restaurant ein paar Schritte weiter, muss reservieren. Da aber sowieso alle Wege nach Athen führen, laben wir uns nicht nur am inkludierten Salatbuffet, sondern haben auch viel zu viel bestellt. Das nehmen wir mit und haben am nächsten Tag reichlich für das Picknick. Bevor die Reise sich dem Ende zuneigt, radeln wir durch Westfalen. Hier gibt es riesige Höfe mit sehenswerten, gepflegten Fachwerkhäusern. Wie schon in Osnabrück wohnen wir auch in Minden in der Innenstadt im Victoria-Hotel mit großzügigen Zimmern und leckerem Frühstück. In Minden gibt es einen Domschatz und einen 1200 Jahre alten Dom, den man sich beim Abendspaziergang nicht entgehen lassen sollte.
Über Bückeburg mit dem schönen Schloss Bückeburg (sehr nettes Café) und Stadthagen, wo es ebenfalls ein Schloss gibt, geht es zu unserer letzten Station in Bad Nenndorf. Blöderweise ist hier die Strecke gesperrt und wir fahren über stark befahrene Straßen einen 5 km Umweg. Das von außen eher unattraktive Wellnesshotel Harms hat einen schönen Wellnessbereich. Es muss ja nicht gleich das Grandhotel Esplanade sein :-). Für die Rückreise verabschieden wir uns vom Radfernweg und radeln nach Wunstorf, wo wir „unseren“ IC nehmen, der uns auf direktem Weg wieder zurück nach Berlin bringt.
Was würden wir beim nächsten Mal besser machen?
Fast nichts. Die Reise war super und hat uns trotz teilweise miesem Wetter viel Spaß gemacht. Das »Anne Frank Haus« würde ich vorher für den Besuch reservieren. Was haben wir richtig gemacht? Hotels mit Wellnessbereich und Amsterdam mit Fahrrad. Jederzeit wieder!
Eure Renate